Die Spitäler haben 2024 besser abgeschnitten als das (katastrophale) Jahr zuvor. Ist das Grund zur Beruhigung? Oder gibt es tieferliegende Probleme, die weiter beunruhigen sollten? Tatsächlich zeigen sich Vergütungssystem, Management wie Governance-Strukturen weiterhin als «problematisch».

Zwischen Kalkül und Klinik – Spitäler in der strukturellen Dauerkrise

Im ersten Teil dieser Serie ging es darum, wie betriebswirtschaftliche Kalküle dort helfen können, wo Entscheidungen besonders schwierig sind – etwa, weil verschiedene Fachdisziplinen zu unterschiedlichen Einschätzungen kommen und es keine gemeinsame, fachübergreifende Rationalität gibt. In solchen Situationen entstehen Reibungen, die häufig nicht argumentativ, sondern durch Macht ausgetragen werden. Es gehört zu den unausgesprochenen Realitäten der Medizin, dass Macht ins Spiel kommt, wenn mehrere Disziplinen denselben Anspruch erheben.

Controlling als Entscheidungshilfe – mit Nebenwirkungen

Hier kommt die «Eleganz» des Controllings ins Spiel: Es erzeugt mittels ökonomischer Kalküle Entscheidungsmöglichkeiten, die in der klinischen Realität nur schwer zu treffen sind. Diese Kalküle (Business-Pläne, Kostenrechnungen, …) sind Abstrahierungen. Darin liegt die Chance der Entscheidung und das Risiko der Unruhe (Ablehnung, Widerstand, Ärger, …) – denn die Abstrahierung wird der Vielfalt und Komplexität des klinischen Alltags nicht gerecht. Viele in der Medizin sind irritiert, wenn finanzielle Grössen die tägliche Patientenversorgung, die Ausbildung oder auch die Forschung beeinflussen – und dabei zentrale Aspekte ausblenden. Die daraus entstehende Spannung ist und bleibt im Spitalbetrieb dauerhaft spürbar.

Governance-Strukturen: Voraussetzung und Problem zugleich

Verstärkt wurde diese Steuerungslogik durch die Governance-Strukturen, die mit der Verselbständigung der Spitäler und der Einführung der DRG-Vergütung in den letzten 20 Jahren einhergingen. Spitäler sollten unternehmerischer agieren, finanziell auf eigenen Beinen stehen und Investitionen selbst tragen – Aufgaben, die früher von Kanton oder Gemeinde übernommen wurden.

2023 markierte in diesem System eine klare Zäsur: Viele Spitäler schlossen mit teils deutlichen Defiziten ab. Die Politik musste einspringen, um Zahlungsunfähigkeiten zu vermeiden. Damit war die Idee einer unabhängigen, wirtschaftlich tragfähigen Spitalstruktur faktisch ausgehebelt. Auch wenn 2024 etwas bessere Zahlen brachte – bewirkt etwa durch gesunkene Energiepreise und weniger durch Änderungen der Leistungserbringung – bleibt die strukturelle Instabilität bestehen.

Im Limbo: Zwischen Anspruch und Realität

Viele Spitäler befinden sich heute in einer Art Schwebezustand – einem Limbo, den sie nicht selbst verschuldet haben. Die geltenden Tarife reichen nicht aus, um wirtschaftlich tragfähig zu arbeiten. Gleichzeitig zögert die Politik, grundlegende Tarifkorrekturen anzugehen. Die Fallzahlen steigen, die Erwartungen der Gesellschaft ebenfalls, und die medizinische Entwicklung bringt laufend neue Möglichkeiten in Diagnose und Therapie. Unter diesen Bedingungen geraten Spitäler in die Nähe von permanently failing organisations – also Einrichtungen, die dauerhaft nicht leisten können, was man von ihnen erwartet. Sie scheitern fortwährend. Mediziner:innen geraten in die Situation, entweder ungenügende Zahlen zu generieren oder, im Falle steigender Zahlen nicht die nötigen Ressourcen zu erhalten …

Drei Szenarien – und nur eines mit Perspektive

  1. Verlängerung des Limbos
    Die Unterfinanzierung bleibt bestehen, kleine Nachjustierungen schieben die strukturelle Diskussion auf die lange Bank. Die Folgen: Qualitätsverluste, wachsende Frustrationen beim Personal und schleichender Qualitätsabbau in der Versorgung.
  2. Abbau von Kapazitäten
    In der Schweiz richtet sich die öffentliche Diskussion stark auf den Abbau stationärer Betten. Das kann ein Teil der Lösung sein – aber Patient:innen verschwinden nicht, nur weil Betten reduziert werden. Stationärer Abbau erfordert zwingend den Aufbau ambulanter Strukturen. Derzeit ist davon wenig zu sehen.
  3. Strukturelle Reform der Finanzierung
    Ein systemischer Ausweg könnte – wie in Deutschland u.a. angedacht – in einer Reform der Vergütung liegen, etwa durch die Unterscheidung zwischen Vorhalteleistungen und abrechenbaren Einzelleistungen. Das würde zumindest einen Teil der strukturellen Probleme korrigieren.

Fazit: Reform statt Fiktion

Wenn das Spitalsystem nicht in eine strukturelle Krise abgleiten soll, führt mittelfristig kein Weg an einer Reform des Finanzierungssystems vorbei. Nur so lässt sich die aktuelle Als-ob-Governance überwinden – die vorgibt, Spitäler seien finanziell eigenständig, während sie faktisch längst wieder am Tropf der öffentlichen Hand hängen.

Mittelfristig braucht es ein reformiertes Finanzierungssystem.

Die Herausforderung verschiedene Perspektiven in Gesundheitsorganisationen zu integrieren, akzentuiert sich mit den laufenden systemischen und gesellschaftlichen Entwicklungen nochmals deutlich. Die Strategien der Vergangenheit reichen dafür nicht mehr. Im MAS Leading Learning Health Care Organisations erarbeiten Sie sich die dafür nötigen Fähigkeiten.

Foto von Ryan Klaus auf Unsplash