Blick nach vorn 2024 – nach dem Abstimmungswochenende

Die Schweizerinnen und Schweizer haben entschieden – sie haben die Kostenbremse-Initiative und die Prämien-Entlastungs-Initiative abgelehnt. Erstere mit einer deutlichen Zweidrittelmehrheit, zweitere nur knapp. Dieses Verdikt ist deshalb interessant, weil es als Hinweis gedeutet werden darf: Für die Stimmenden sind die Gesundheitsausgaben in unserem Land weniger ein Kosten-Problem. Eine Kostenbremse wollen sie nicht. Das knappe Nein zur Prämien-Entlastungs-Initiative (die zudem durch den indirekten Gegenvorschlag herausgefordert war) wirft ein Schlaglicht auf das tieferliegende Problem der Gesundheitsausgaben – deren Finanzierung!

Die Herausforderung

Finanzierungs- statt Kostenproblem heisst, dass wir viel mehr darüber sprechen sollten, wer für welche Leistungen welche Mittel an welche Leistungserbringer zahlen sollte, anstatt rituell über explodierende Gesamtausgaben in unserem Gesundheitssystem zu streiten. Kein Zufall übrigens, dass Letzteres ständig und Ersteres kaum Erwähnung findet. Denn Finanzierungsfragen lassen unverzüglich die Interessen, Erwartungen und Lösungsideen der verschiedenen Akteursgruppen sichtbar werden. Hinter dem Gesamtkosten-Problem kann dieselbe Perspektivenvielfalt verschwommen bleiben.

Was hiesse aber lösungsorientiert über Finanzierungsfragen zu diskutieren? Einige Beispiele, ohne Anspruch auf Vollständigkeit:

  • Problematisch ist, dass Behandlungen aller PatientInnen – von der einfachen Grippe über den unkomplizierten Herzinfarkt bis zu schwerst- und mehrfachkranken Menschen – weiterhin aus denselben Quellen und nach denselben Modalitäten finanziert werden. So entstehen Fehlanreize (vgl. Teil 3 dieses Blogs). Wir brauchen Differenzierungen der Patientengruppen und entsprechende Finanzierungen.
  • Problematisch ist die grösser werdende Kluft zwischen der sich immer stärker spezialisierenden Medizin und den bestehenden Tarifsystemen (Tarmed/Tardoc, DRG). Denn so entstehen Fragmentierungen der Patientenprozesse. Wir brauchen zukunftsfähige Tarifmodelle und zwar differenziert nach Patientengruppen und -Prozessen. Tardoc und DRG sind ausgezeichnete Leistungsbemessungssysteme, aber zunehmend untauglich als Preisschild-Träger.
  • Problematisch ist die historisch gewachsene finanzielle Wertigkeit von medizinischen Leistungen. Dies fördert unnötige oder gar für PatientInnen schädliche Leistungen. Wir brauchen eine kontinuierliche Auseinandersetzung zu Wertigkeiten medizinischer Leistungen, die weniger die Wirtschaftlichkeit, sondern stärker Wirksamkeit und Zweckmässigkeit fokussieren.
  • Problematisch ist das schweizerische Kopfprämiensystem mit Prämienverbilligung, denn dieses überlastet Haushalte mit tiefem Einkommen finanziell. Daran wird auch der Mindestbeitrag für die Prämienverbilligung im direkten Gegenvorschlag nichts ändern, auch angesichts des im internationalen Vergleich sehr hohen Selbstzahleranteils in der Schweiz. Wir brauchen eine gesellschaftliche Diskussion darüber, wo die Gelder für unsere Gesundheitsversorgung herkommen – jenseits politisch-ideologischer Positionierungen vor Abstimmungen.

Der mögliche Weg

Offensichtlich sind das heikle Themen und Thesen. Ebenso offensichtlich ist, angesichts der Perspektivenvielfalt im System, darüber zu „streiten“, was zu tun ist. Das muss nichts Schlechtes sein: Man könnte dafür die Schweizer Vielfalt nutzen und an verschiedenen Orten (gezielter) Unterschiedliches probieren. Ein „Experimentierartikel“ stünde gesetzlich zur Verfügung – und wird erstaunlich wenig genutzt. Um etwas Fantasie ins Spiel zu bringen: Warum nicht ein „Nationales Gesundheitsboard“ mit Beschlusskompetenz einrichten, das die Akteure des Systems versammelt und zu Vereinbarungen verpflichtet? Das Format dieses „Boards“ wäre sorgsam zu wählen. Ohne Zweifel ist das eine wagemutige Idee, aber wie heisst es so schön: Wer wagt, gewinnt.

Bild: Element5 Digital auf Unsplash

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