2024: Blick nach vorn – Teil 3

Das Jahr 2023 war turbulent für das Schweizer Gesundheitssystem: Unter anderem wurde über Krankenkassenprämien und finanzielle Probleme in Spitälern diskutiert. Was lernen wir daraus? In dieser Blog-Reihe schauen wir zurück und nach vorne. In diesem dritten Teil geht es um die Kosten.

Ständig wird im Gesundheitssystem von Kosten gesprochen. Zugleich bleibt erstaunlich unklar, wie sie verursacht werden. Eine gängige Erklärung zur Kostenentwicklung im Gesundheitswesen lautet z.B., dass die steigende Lebenserwartung die Häufigkeit von chronischen Krankheiten in die Höhe treibe. Das letzte Lebensjahr sei das teuerste und damit auch wesentlich verantwortlich für die stetig steigenden Krankenkassenprämien.

Es gibt aber auch die konträre Idee. Avenir Suisse sagt, dass «die Gesundheitskosten bei den Jüngeren stärker ansteigen als bei den Älteren». Aufgrund dieser Beobachtung fordert Avenir Suisse einen Paradigmenwechsel: mehr Fokus auf Junge und Qualität sowie – wenig erstaunlich – mehr Wettbewerb.

Dass es so unterschiedliche Erklärungen gibt, liegt u.a. daran, dass die verschiedenen Akteure ihre je eigenen Narrative für ihre eigenen Zwecke nutzen möchten. Kosten, die so gerne zu den harten und objektiven Fakten gezählt werden, werden so zu Vehikeln politischer Diskussionen.

Die Herausforderung

Das Problem ist nicht, dass die Aussagen bzgl. Kosten einzelner Akteure falsch wären. Im Gegenteil, alle haben sie ihre je eigenen Kostenwahrheiten. Denn je nach Berechnungsgrundlagen, Darstellungsformen und angelegten Kriterien resultieren ganz unterschiedliche Wahrheiten. Diese suchen sehr verschiedene Schlussfolgerungen zu befördern.

Sie alle haben ihre eigenen Kostenwahrheiten

Der verwirrende Hintergrund erschwert Orientierung und vernebelt andere Gewissheiten, die niemand in den Blick nehmen will: zum Beispiel die tatsächlich zutreffende 20/80-Prozent-Regel. Gemäss dieser beanspruchen rund 20% aller Versicherten 80% der Versorgungsleistungen (und umgekehrt). Die grafische Darstellung verdeutlicht diese erdrückende Asymmetrie.

Gesundheitsausgaben: Anteile der Perzentil-Gruppen P1-P100 (Eigene Darstellung, 3 Mio. Versicherte, 2022)

Erdrückend deshalb, weil die Asymmetrie allzu einfachen Interventionspostulaten den Boden entzieht. Beispiele sind das «letzte Lebensjahr», in welchem man nichts mehr machen sollte, oder die «Jungen», denen man mehr Wettbewerb zumuten kann).

Betrachten wir konkret die obersten Perzentile, also jene (meist chronisch) schwerkranken Menschen, die mehr als vier Fünftel aller Versorgungsleistungen in Anspruch nehmen: Was hiessen die von Avenir Suisse geforderten «Mehrwertorientierung» und «Wettbewerb» bei dieser Gruppe? Denn diese Patient*Innen mit schweren, chronischen und mehrfachen Krankheiten zeichnen sich bekanntlich durch komplexe und fragmentierte Behandlungsprozesse mit hoher (medizinischer) Unsicherheit aus. Da ergeben sich schnell neue Fragen. Beispielsweise: Welche Folgen hat es für die Leistungserbringung und deren Organisierung, wenn wir das Kostenwachstum aus der Perspektive dieser obersten Perzentile betrachten? Einige Antworten dazu folgen im 4. Teil dieser Blogserie.

Bild: Jonas Verstuyft auf Unsplash

Literatur

Avenir Suisse: Sind die Gesundheitskosten der Jungen zu hoch?