US-Wahl: Vom Kampf der Führungsverständnisse

Die US-Präsidentschaftswahlen sind nicht nur in politischer Hinsicht essentiell, sondern auch hinsichtlich Führungsverständnissen aufschlussreich. Trump, wie Biden stehen für zwei gänzlich verschiedene Führungsmodelle. Wir sollten uns gut überlegen, welches wir bevorzugen.

Trump steht für Leaderism, also der übertriebenen Zuschreibung auf die Macht und Möglichkeit einzelner Führungspersonen. «The hysterical blonde» (so Martin Amis) Trump bildet, wie der Psychoanalytiker und Managementprofessor Gianpiero Petriglieri schreibt, geradezu die Karikatur eines (narzisstischen) Führers, der mit Vorliebe einen Kult um seine Person initiiert und sich als Garant und Betreiber eines grossen Wandels, eines Neuanfangs – «den Sumpf trocknen» – verkauft. Im modernen Managementtalk gesprochen steht er für Disruption. (Die Pointe mit Bezug auf Trump ist, dass der Begriff des Leaderism ursprünglich aus Russland stammt …)

Wobei der Kult nur entstehen kann, weil die Geführten ihn mithervorbringen und ermöglichen. Ohne Gefolgschaft kein Kult, ohne Wähler kein Präsident, ohne Komplizen kein Gauner, ohne Verwaltungsrat kein CEO.

Ohne Gefolgschaft kein Kult, ohne Wähler kein Präsident.

Ganz anders Biden. Er gibt den anständigen, nicht überheblichen, aber auch weniger «Disruption» versprechenden Charakter. Er ist weniger eloquent, weniger blendend. Dafür strahlt er Sorge um anderen aus. Er vermittelt eher Demut als Anmassung.

Während Trump auf dem Kongress der Republikaner 2016 erklärte: „Only I can do it», und vor Wochen zugab, dass er, nachdem er mit COVID-19 im Krankenhaus sitzend, daran dachte, ein Superman-Unterhemd zu tragen, um seine Rückkehr ins Weisse Haus zu feiern, versuchte Biden Anständigkeit zu vermitteln. Er verankert seinen Führungsanspruch nicht in Leidenschaft gegen jemanden oder etwas, sondern eher in Charakterstärke und institutioneller Verantwortung. Und er lud eine starke Herausforderin ein, seine Vize Präsidentin zu werden.

Leaderismus ist der Glaube, dass grosse Gestalten das Heilmittel für unsere Probleme sind und resultiert aus dem – wohl uns allen bekannten – Wunsch nach Klarheit und Trost und nach einer Welt klar unterscheidbarer Helden und Schurken. Eine bedrohliche Welt, in der uns jemand beschützt. Je ängstlicher wir sind, desto verführerischer wird eine solche Vorstellung, wie schon der Vater der Psychoanalyse, Sigmund Freud, wusste.

Leaderismus resultiert aus dem Wunsch nach Klarheit und Trost.

Trump versuchte Biden als zaghaften, zögerlichen Menschen darzustellen (und natürlich auch als korrupt; soviel Projektion muss sein). Glücklicherweise funktionierte dieser Schachzug nicht. Dass das Corona-Virus als reale Bedrohung die Art von Krise ist, die uns eher nach Kompetenz und Empathie suchen lässt, hat hier wohl geholfen.

Aber bald 70 Millionen (!) beugten zusammen mit ihrem Idol die Realität. «The virus does not exist». Aktuell werden die Geschichten jener schwer erkrankten Trump-Wähler in South Dakota, die bis sie sterben, beschwören, dass das Virus nicht existieren würde auf den Social Media feilgeboten. Man fasst es kaum. Aber Realitätsverkennung war immer schon das Meisterfach «grosser» Führung.

Biden bietet weder besondere Inspiration, wie es noch Obama tat, noch ein Bündel aufgestauter Wut, das sich zu entladen droht. Aber vielleicht hat er gerade deswegen gewonnen. Vielleicht hat er darum den heterogenen Haufen der Demokraten einigen können.

Führungsmässig vermittelt Biden ein vergleichsweise schlichtes: „I am here. Let’s talk.“ Das ist Führung, auch wenn wir es gelegentlich als solche übersehen. Das sollten wir nicht tun. Denn, dieser Zugang ist umso wichtiger, je komplexer die Problemlagen werden.

„I am here. Let’s talk.“ wird allzu oft nicht als Führung gesehen.

Biden könnte vergleichsweise langsam, vergleichsweise langweilig und manchmal auch zu versöhnlich erscheinen, so Petriglieri. Er wird wohl grossen Wert auf Dialog und Vertrauen legen. Er wird Kritik von seinen Anhängern und Spott von seinen Gegnern auf sich ziehen. Hoffentlich lassen er und seine nähere Umgebung sich davon nicht beirren.

Diese Botschaft sollten sich auch unsere Verwaltungs- und Spitalräte zu Herzen nehmen, wenn sie einen neuen CEO oder Chefärztin oder andere wichtige Führungskräfte suchen.

Dialogorientierte, inklusive und demütige Führung ist keine Frage von Ideenlosigkeit und Feigheit. Im Gegenteil, sie ist mutig, gerade auch im Wissen um ihre Grenzen, und sie ist adäquat angesichts einer überaus komplexen, vielschichtigen Wirklichkeit, in der es darum gehen muss, zwischen Perspektiven zu vermitteln und dadurch zu guten Lösungen zu kommen. Die Pandemie könnte uns hierzu eigentlich ein Lehrstück sein. Die grossen Helden haben ihre Länder an die Wand gefahren.

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