Geschlechterspezifische Normen und die Zukunft des Führens in der Medizin

Frauen sind in Führungspositionen immer noch unterrepräsentiert – auch in der Medizin. Studien zeigen, dass normative Vorstellungen von Führung und „Weiblichkeit“ einen sogenannten  „double bind“ erzeugen, der Frauen zum Nachteil gereicht. Wenn wir die Vorurteile verstehen, die zu diesem „double bind“ führen, können wir gezielt entgegenwirken.

In der Schweiz haben immer noch unverhältnismässig wenig Frauen in der Medizin Führungspositionen inne: In der Altersgruppe von 45-59 Jahren sind 13,4% der Chefarztpositionen von Frauen besetzt. Der Anteil der weiblichen Ärzte in der Alterskategorie bis 45 – 54 Jahre beträgt aber 50%. Wie kommt es dazu?

Einerseits sind die Erwartungen an weibliche und männliche Leader unterschiedlich: Ein guter Leader soll durchsetzungsstark, entscheidungsfreudig, gut vernetzt und unabhängig sein – Eigenschaften, die man traditionell eher Männern zuschreibt. Zeigt eine Frau diese Eigenschaften, wird sie als kratzbürstig oder schlichtweg unsympathisch wahrgenommen, da man von Frauen Freundlichkeit, Fürsorge und Selbstlosigkeit erwartet. Diese „gendered norms of Leadership“ benachteiligen Frauen und legen ihnen Stolpersteine auf den Weg in die Chefetage.

Die Stolpersteine der gendered norms of leadership

Sieht man sich die Stolpersteine genauer an, liegt der erste lange vor der Ausübung einer Tätigkeit, nämlich bei der Bewerbung: Untersuchungen aus der Wirtschaft zeigen, dass sich Frauen seltener auf Kaderstellen bewerben. Die Ursache: psychologischen Sanktionen (z. B.  Ablehnung oder Sympathieentzug), die mit der Wahl in Führungsgremien einhergehen, schrecken von einer Bewerbung ab.  

Hat es eine Frau dann bis zu einem Bewerbungsgespräch oder Auswahlverfahren geschafft, muss sie gemäss Untersuchungen höheren Massstäben genügen, um für eine Kaderposition berücksichtigt zu werden. Zugespitzt gesagt, werden Frauen nach ihren bisherigen Leistungen, Männern nach  ihrem Potenzial bewertet.

Auch in Mitarbeitendengesprächen wiederholen sich die Muster aus den Bewerbungsgesprächen, sprich Frauen müssen Erreichtes wiederholt beweisen. Ihre Persönlichkeitsmerkmale werden öfter thematisiert und Vorgesetzte gehen davon aus, dass Mütter weniger Karriereambitionen haben.

Lösungsansätze: Formale Veränderungen, Mut und Kreativität

Wie können wir diesen Stolpersteinen konkret begegnen? Zumindest für die Mitarbeitendengespräche gibt es Evidenz: Indem man in Bewertungsbögen mindestens drei konkrete Beispiele für die Bewertung einer Eigenschaft (z.B. Innovation, Leadership-Qualitäten) verlangt und andererseits Mitarbeitende zum Hintergrund dieser Änderung schult, verbessert man offenbar die Gleichbehandlung. 

Ausgewogene Bewertungsbögen und gemischte Auswahlgremien fördern die Gleichbehandlung beider Geschlechter bei der Besetzung von Kaderpositionen.

Und die anderen Stolpersteine? Da sind Kreativität und Mut gefragt. Z. B. indem man sich in Teilzeit auf eine Kaderposition bewirbt. Die Wahrscheinlichkeit für ein Pendant im Jobsharing steigt stetig, schliesslich möchten immer mehr Mediziner (unabhängig vom Geschlecht) in Teilzeit arbeiten.

Auf Seite der Vorgesetzten wären Vorstellungsgespräche durch gemischte Teams denkbar. So sässe eine Bewerberin beiden Geschlechtern gegenüber, wodurch das Leadership-Potenzial einer Bewerberin seltener übersehen würde, gleichzeitig wäre das Signal auf Vorgesetztenseite klar: Wir bemühen uns um Perspektivenvielfalt.

Gemeinsam in die Zukunft

Erfolgreiches und nachhaltiges Führen erfordert vielfältige und unterschiedliche Fähigkeiten. Es ist auf allen Ebenen erstrebenswert, dass Frauen und Männern zusammenarbeiten, da gemeinsam mehr Neues entstehen kann. Um künftig den Erwartungen von Patienten (und damit der Gesellschaft), sowie der Wirtschaft zu entsprechen, sollten wir unser volles Potenzial als Menschen mit unterschiedlichen Eigenschaften ausschöpfen!

Literatur

Foto: Marvin Borner auf Unsplash