Flache Denkmäler. Abschied vom «heroischen» Führungsmodell

Leadership ist im Wandel. Organisationen aller Art erproben neue Formen. Das traditionelle «heroische» Führungsmodell wird den vielfältigeren und variableren Erwartungen nicht mehr gerecht.

Die Mini-Blogserie Flache Denkmäler beleuchtet den Unterschied des «heroischen» und «postheroischen» Führungsmodells in Gesundheitsorganisationen. In diesem ersten Teil befassen wir uns damit, wie die «heroische» Führung funktioniert.

In der Tat, in der allgemeinen Führungswelt ist die Epoche der «postheroischen Führung» (Dirk Baecker) schon längst eingeläutet. Zu komplex, zu vielfältig, zu «VUCA» die Welt, als dass Heroentum noch Chancen hätte. Komplexität schlägt Helden tot, könnte man – etwas pathetisch – formulieren. Die Zeit des «starken Mannes» an der Spitze, der für Eindeutigkeit sorgt und dafür mit Gehorsamsbereitschaft belohnt wird, ist vorbei. Die überbordende Komplexität ringsum verlangt mehr Steuerungskapazität.

Das gilt auch in der Medizin. Die Vielzahl und die Variabiliät der Erwartungen der unterschiedlichen Stakeholder (Patientinnen und Patienten, Angehörige, Geschäftsleitungen, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, Fachkollegen, Wissenschaft, Öffentlichkeit, …) kann nicht mehr durch eine Person an der Spitze erfolgreich erfüllt werden. Zentralisierte Entscheidungsgewalt und leeres Machtgehabe reichen nicht mehr. Komplexität erfordert anderes. «Requisite variety» hatte das die Kybernetik genannt. Und die verträgt sich nicht mit «heroischer» Führung.

Macht und Karriere

Heroische Führung geht mit der Ausübung von Macht Hand in Hand. Heroen (in der griechischen Sage typischerweise Halbgötter …) sind machtvoll. Modern ausgedrückt, bewirkt Macht Gehorsamsbereitschaft. Negative Sanktionen vermeiden zu können ist ein starkes Motiv für Gehorsamkeit.

In der Medizin basiert die Macht des Chefarztes, der Chefärztin gegenüber den Mitarbeitenden vor allem darauf, dass er/sie deren Karrieren beeinflussen kann. Gibt es eine stärkere Begründung für Macht? Wie viele Assistenten, wie viele Oberärztinnen haben im stillen Zorn die Faust im Sack geballt, haben sich geduckt, haben hingehalten im Wissen, dass ein Aufbegehren ihre Karrierechancen beeinträchtigen wird? Karrieren sind eine der wichtigsten Währungen in Organisationen.

Macht und Unsicherheit

Die Medizin stellt einen weiteren «mächtigen» Betriebsstoff zur Verfügung: Unsicherheit. «In medicine, uncertainty is the water we swim in», wie Lisa Sanders schrieb. Die Unsicherheit darüber, ob die Patientin, der Patient so gesunden wird, wie gehofft, besteht immer. Auch wenn alle Guidelines befolgt werden, alle Evidenz konsultiert wird, die Krise des Körpers gebiert Unsicherheit.

Professionelle Organisationen nutzen Unsicherheit, um «Führbarkeit» zu erzeugen. Laura Empson zeigt das mit ihren Studien zu den «insecure overachievers»: Die Unsicherheit, gut genug (gegenüber dem Kunden, der Patientin) zu sein, hält Leistungsbereitschaft aufrecht. Das ist das Material, aus dem Loyalität geschöpft wird.

Unsicherheit trifft sich mit Hierarchie dort, wo der oder die hierarchisch Höchste Sicherheit garantiert. Diese Kombination von hierarchischer Struktur und Sicherheitsreferenz ist das zweite Fundament der Macht in der ärztlichen Führung – und tief eingeschrieben in die DNA der deutschsprachigen Medizin.

Markus Weggenmann erhielt für seine beiden Gemälde «Flache Denkmäler» 2018 den Schweizer Kunstpreis. Auf überlebensgrosser Leinwand findet sich mit stark pigmentierter Farbe aufgetragen ein schematisierter Kopf, eingerahmt von etwas Weiss, dann nochmals farbige Fläche. Eine Büste, ein Denkmal wird in reine Zweidimensionalität übersetzt, ohne Perspektivität, ohne Tiefe. Nur in der Intensität der Farben vermittelt sich ein letzter räumlicher Anklang. Wo vorher Tiefe war, findet sich nun blosse Fläche. Wo vorher Dominanz war, vermittelt sich nur mehr dunkle Ahnung. Das ergibt eine starke Wirkung. Eine Wirkung, die fesselt, und eine Doppelheit, die interessiert: plan und doch räumlich, abstrahiert und doch kenntlich, übergross und doch fassbar. Die Bilder nehmen den Betrachter gefangen und inspirieren zu Fragen: flache Denkmäler? Platte Helden? Man beginnt zu sinnieren: Ist die Zeit der Heroen abgelaufen? Befinden wir uns im «post-heroischen» Zeitalter?