Ever given, ever taken. Das Evergreen «Feedback» (Teil 2)

Der Super-Frachter «Ever Given», der den Suezkanal blockierte, den Welthandel aufhielt und Milliardenkosten verursachte, war vom Kurs abgekommen. Die Reaktionen darauf waren heftig. Dieses «Feedback» suchte ihn wieder auf den rechten Weg zurück zu bringen.

Der erste Teil dieser Blog-Serie  befasste sich mit dem richtigen Rahmen für effektives Feedback und mit der Frage von Selbst- vs. Fremdeinschätzung. In diesem zweiten Teil beleuchten wir klassische Feedback-Ansätze kritisch und zeigen neuere Lösungen für einen optimalen Rahmen für effektives Feedback auf.

Klassische Feedback-Ansätze setzen stark auf kommunikative Spielregeln für die Feedback-Gebenden. Typisch sind Appelle wie: verwende Ich-Botschaften, trenne sorgsam Beobachtung und Bewertung, formuliere Wünsche etc. Die Inhalte des Feedbacks werden nicht näher betrachtet, sondern als problemlos vorausgesetzt. Diese Feedback-Ansätze gehen davon aus, dass es hilfreich sei, fremde Wahrnehmungen mitzuteilen. Stimmt das?

Feedback braucht einen Sender UND einen Empfänger

Neuere Ansätze betrachten Feedback als eine «learning conversation». Dieser Prozess umfasst, nebst dem Senden des Feedbacks, auch die Beziehung zwischen den Beteiligten und die Umstände des Feedbackgesprächs. Damit erweitert sich der Handlungsraum erheblich.

Ähnlich wie beim Coaching soll das Feedback zu alternativen Verhaltens- und Betrachtungsweisen anregen. Selbstbewertung, also die Einschätzung des eigenen Tuns, und Selbstfestlegung, also die Verpflichtung zu eigenen Zielen, sind dafür essentiell. Den Spiegel vorhalten (z. B. mit der Frage «Was waren die Wirkungen deines Tuns?») sei effektiver als Urteile «von der Kanzel herab».
Wenn wir anderen mitteilen, was wir von ihrer Performance halten, fördert dies die Entwicklung kaum – selbst wenn wir das kommunikativ «gut» tun. Und wenn wir gar fertige Verbesserungslösungen vorlegen, behindert das sogar das Lernen.

Fremdbeurteilung vermeiden, Qualitäten fördern und weiterentwickeln

Es gibt drei kritische Aspekte am heutigen Verständnis von Feedback (Buckingham/Goodall 2020).

Erstens: Wir sind an sich (!) schlecht darin, andere zu beurteilen und scheitern gerne am «idosyncratic rater effect». Dieser Effekt besagt, dass meine Bewertung einer anderen Person weniger davon abhängt, wer der- oder diejenige ist, sondern wesentlich von meinen eigenen Idiosynkrasien geprägt ist – wie ich spezifische Qualitäten definiere; wie viel ich denke, dass ich davon habe; wie hart ich normalerweise bewerte etc.
Kurz: Die Beurteilung anderer widerspiegelt in weiten Teilen die eigenen Charakteristiken. Für andere ist das aber von begrenztem Interesse – und wenig lernförderlich.

Um dies zu umgehen, könnte man den Empfänger nach seiner eigenen Einschätzung über seine «Performance» fragen. Beispielsweise auf eine Skala von 0-10 (0 = «lausig», 10 = «hat sich richtig gut angefühlt»).

Zweitens: Wir lernen dort am besten, wo wir bereits Talente haben. Feedback entfaltet dann die grösste Wirkung, wenn ein Verhalten aufgreift, dass schon eine gewisse Qualität aufweist und dieses ermutigt. Wenn wir in den Spitzensport schauen, sehen wir gute Trainer exakt mit dieser Form arbeiten. Herausarbeiten und aufzeigen, was gut war im Spiel – und daran arbeiten, dass mehr davon zum Einsatz kommt.

Stärken aufzeigen, ausbauen und weiterentwickeln

Drittens – eine vielleicht etwas bittere Einsicht: Exzellenz ist kaum erlernbar. Soll heissen, man kann nie wissen, wie man zur Exzellenz kommt. Es ist sinnlos, dem Ausnahmekönner Lionel Messi, dem mehrmaligen Fussballer des Jahres, zu erklären, dass sein rechter Fuss nicht besonders gut sei und er diesen verbessern müsse. Der Mann ist so gut, dass sein linker Fuss ausreicht. Die Lehre: Setzen Sie bei Ihren Qualitäten an und entwickeln Sie diese weiter.

Coaching-orientiertes Feedback: das R2C2-Modell

Wie also entsteht eine Coaching-Orientierung im klinischen Alltag? Eine Möglichkeit zeigt das, in Kanada entwickelte und vom Co-Autor Maurizio Trippoloni übersetzte, R2C2-Modell auf (Sargeant JM 2018). Kern des R2C2-Modells sind die Gestaltung eines Rahmens für effektives Feedback und eine Coaching-Orientierung. Das Modell unterscheidet vier Phasen, die mit Sendenden wie Empfangenden trainiert werden.

  • Phase 1 (Relationship): Vertrauen aufbauen. In dieser Phase schaffen die Beteiligten eine vertrauensvolle und respektvolle Gesprächsbasis.
  • Phase 2 (Reactions): Reaktionen erörtern und reflektieren. Hier gilt es sicherzustellen, dass der/die Feedbacknehmende sich verstanden fühlt, und ihre Ansichten anzuhören und zu respektieren.
  • Phase 3 (Content): den Inhalt bestätigen. Der Empfänger erkennt die Bedeutung der Beobachtungen in Bezug auf seine tägliche Praxis und sieht, welche Möglichkeiten für Veränderung sich daraus ergeben.
  • Phase 4 (Coach): coachen für «performance change». Abschliessend soll die Empfängerin den Inhalt des Feedbacks reflektieren und einordnen können und umsetzbare Handlungspläne entwickeln.

Wo liegen deine Stärken? Wie kann ich dich unterstützen?

Bevor Sie Ihr nächstes gut gemeintes Feedback abfeuern – und riskieren dann festzustecken wie der Super-Frachter «Ever given» im Suez-Kanal -, ermutigen Sie lieber Ihr Gegenüber den Blick nach vorne zu richten. Stellen Sie Fragen wie diese: Was sind deine Stärken? Was willst du erreichen? Wie bringst du beides in Einklang? Und: Wie kann ich dich dabei unterstützen? Und beobachten Sie die Wirkung dieser Fragen.

Im nächsten Teil werden wir erörtern, was es auf sich hat mit der sogenannten Feedback-Kultur als Antidot zur Angst-Kultur, die in verschiedenen Organisationen wahrgenommen wird.

Bildquelle: Thomas Benkö auf Twitter

Literatur

Buckingham Goodall Marcus Buckingham und Ashley Goodall, The Feedback Fallacy. HBR March–April 2019

Sargeant J. M., Holmboe E.S., Feedback and Coaching in Clinical Teaching and Learning. In: Practical Guide to the Evaluation of Clinical Competence. Eds. Holmboe Eric, Hawkins Richard, Durning Steven, 2nd Edition, Elsevier p.256-269, 2018

Maurizio Trippolini, R2C2 Modell. Evidenz-basiertes Feedback & Coaching. Version für Gesundheitsfachpersonen, Deutschsprachige Fassung, Bern, 2020