Bridging Crises: Das «neue Normal» des Gesundheitssystems (Teil 2)
Der Lockdown wird zurück-, die Gesellschaft wieder «hochgefahren». Eine neue Phase dieser Pandemie ist eingeläutet. Welche Erfahrung aus der Krise wird das «neue Normal» mitbeeinflussen? Wir stellen unsere Beobachtungen zur Diskussion. Heute Teil 2.
Wir unterscheiden dabei gemäss Henry Mintzberg Erfahrungen zwischen den vier verschiedenen Kulturen des Gesundheitssystems: «cure» (Behandlung), «care» (Betreuung), «control» (Management) und «community» (Werte, Gesellschaft /Politik). Unsere Gedanken zu den Bereichen «cure» und «care» haben wir bereits zur Diskussion gestellt (hier nachlesen).
Wir stellen unsere Beobachtungen zur Diskussion.
Heute fahren wir fort mit den Bereichen «control» und «community»:
Control/Management:
- Vergütungssysteme und ihre Schwächen: Die Corona-Krise hat sämtliche Budgets über den Haufen geworfen und auch die Unzulänglichkeiten der bestehenden Vergütungssysteme offengelegt. Damit wird man sich auseinandersetzen müssen.
- Doppelte Ertragsschwierigkeiten in öffentlichen Spitälern: Vor allem öffentliche Spitäler sehen sich mit doppelten Ertragsschwierigkeit konfrontiert: den Ertragsausfall während der Lockdown-Phase sowie den Einschränkungen und Kosten, die sich durch die Vorhaltungen ergeben. Sie müssen gewisse Vorhalteleistungen erbringen für ein wiederkehrendes Aufflammen der Epidemie. Viele Belegarztspitäler sind zudem durch den vollständigen Wegfall elektiver Leistungen mit entsprechenden Ertragsausfällen konfrontiert.
- Verändertes Zusammenspiel von Management und Medizin: Für wenige Wochen waren die üblichen betriebswirtschaftlichen Vorgaben ausser Kraft gesetzt. Alles stand im Zeichen der Notfallversorgung. Das hat erstaunliche Dinge in der Zusammenarbeit ermöglicht und einige Bedeutungsverschiebungen zwischen Medizin und Management bewirkt: Viele Themen waren in extrem kurzer Zeit durchsetzbar oder gestaltbar, die vorher monatelange mehr oder weniger fruchtbare Verhandlungen forderten. Das könnte das Zusammenspiel zwischen Management und Medizin und deren Aushandlungsprozesse beeinflussen.
- Bridging Gaps: Das Erleben der Zusammenarbeit bezieht sich auch auf die Kluft zwischen Management und Medizin – hier waren in verschiedenen Häusern sehr unterschiedliche Erfahrungen zu machen.
Bridiging Gaps zwischen Management und Medizin
Community/Werte, Gesellschaft / Politik
- Neuer Blick aufs eigene Gesundheitssystem: Die Gesellschaft hatte die Chance einen neuen Blick auf ihr Gesundheitssystem zu werfen – in der Schweiz und weltweit: Wir konnten sehen, dass unsere Versorgungsleistungen verwundbar und stark abhängig von der Einsatzbereitschaft einzelner Berufsgruppen sind. Zudem hat die Kritik an den ökonomischen Kriterien, die an die Leistungserbringung angelegt werden, in der Gesellschaft zugenommen.
- Das Spiel «Wettbewerbsfähigkeit» wird erneut gespielt: Die letzten 10 bis 15 Jahre waren davon gekennzeichnet, dass die Politik den Spitälern den Ball der Wettbewerbsfähigkeit zugeworfen hat: Die Spitäler profitierten so von einer höheren Eigenständigkeit und bezahlten ihrerseits mit einem höheren Risiko. Diesen «Ball» nahm mindestens das Management der Spitäler auch gerne an. Dieses Spiel, das mehrheitlich mit betriebswirtschaftlichen Kalkülen gespielt wurde, steht nun erneut auf dem Prüfstand, auch weil dieses Spiel zu wenig zwischen öffentlichen und privaten Spitälern unterscheidet.
- Verhältnis zwischen Wissenschaft und Politik: Das Zusammenspiel zwischen (medizinischer) Wissenschaft und Politik war noch selten derart wichtig und gleichzeitig so unmittelbar zu beobachten. Diese Erfahrungen dürften das Verhältnis zwischen diesen Bereichen neu definieren, wobei beide Seiten ihre Haltungen der jeweils anderen gegenüber zu überdenken haben.
- Regional unterschiedliche Reaktionen der Politik: Die Aktionen und Reaktionen der Politik und der Behörden zeigten regional teils grosse Unterschiede. Die Bandbreite an Erfahrungen daraus werden nachklingen.
- Last but not least: Das Verhalten der Patienten hat sich verändert. Während dem Lockdown blieben viele Patienten zuhause. Sowohl die, die ohnehin nicht in den Notfall gehört hätten. Aber auch ein Teil jener, beispielsweise mit Herz- oder Hirninfarkt, die unbedingt hätten gehen sollen. Und nach dem Lockdown wollen so viele ihre geplanten Eingriffe doch nicht machen lassen, dass in einer Berner Tageszeitung ein halbseitiges Inserat erschien mit dem Aufruf «Jetzt ins Spital? Aber sicher!»
Das Verhältnis zwischen Wissenschaft und Politik verändert sich.
Das sind einige der wichtigen Erfahrungen, die gemacht wurden in den letzten Wochen. Was wird in Erinnerung bleiben, was wird Spuren hinterlassen? Was meinen Sie?
Wer stärker ins Thema „Managing Medicine“ einsteigen möchte, der/dem sei der CAS Managing Medicine in Zusammenarbeit mit der Universität Bern empfohlen.
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