Ärzteschaft der Zukunft: Was veränderte Rahmenbedingungen für den Ärzteberuf bedeuten

Medizinstudium und Arztberuf haben sich in den letzten Jahren stark verändert. Unter welchen neuen Bedingungen arbeiten (nicht nur) junge Ärztinnen und Ärzte heute? Und was verändert sich dadurch für medizinische Führungspersonen?

Jahrzehntelang gab es einen Weg, Ärztin oder Arzt zu werden: solide medizinische Grundkenntnisse im Studium erlernen, Durchhaltevermögen zeigen und schliesslich den klinischen Sozialisierungsprozesses durchlaufen1. Letzteres bedeutete insbesondere, neben vielen anderen Aspekten, Vorgesetzte nachzuahmen2. Nur in Einzelfällen kam es zu explizitem Andersverhalten, wie man es bei Teenagern im Loslösungsprozess vom Elternhaus kennt. Doch diese Regeln gelten aus mehreren Gründen auf einem umgekehrten Spielfeld («tilted playing field», hbr) nicht mehr.

Der alte psychologische Kontrakt gilt nicht mehr

Der rechtliche Vertrag mit dem Arbeitgeber war in früheren Generationen begleitet von einem psychologischen Kontrakt. Dieser lautete: Wenn ich meine Arbeit gut erfülle und dem Arbeitgeber treu bin, erhalte ich irgendwann ein abschliessendes Danke (bei Ordinarien meist in Form eines Abschiedssymposiums, bei anderen Ärzten oft eine offizielle Verabschiedung inklusive Laudatio auf das Erreichte), eine gute Rente und die nötige Freizeit für den Garten, die lange geplanten Reisen oder zumindest die goldene Uhr (mit der ich meinem Umfeld wiederum zeigen kann, wie viel ich gearbeitet und erreicht habe).

Warum 40 Jahre auf ein hinreichendes Danke warten?

Und heute? Dieser psychologische Kontrakt besteht nicht mehr, gecancelled, aus und vorbei. Warum bis zur Pensionierung auf ein hinreichendes Danke warten? – Eine Frage, die sich jüngere Generationen (zu Recht!) stellen. Und weiss ich überhaupt, was morgen sein wird? Ob die Renten für meine Pläne bis dahin ausreichen? Ich gesund bin? Uns die nächste Pandemie, ein Krieg, eine Umweltkatastrophe oder etwas ganz Anderes das ausgemalte Leben verunmöglicht?

Realistische Fragen sind es, die sich jüngere Generationen stellen. Sie erleben eine Unsicherheit, wie sie vorherige Generationen nur im Krieg erlebt haben. Der World Uncertainty Index zeigt es: Seit 1990 steigt die Unsicherheit weltweit exponentiell an. Wir leben zunehmend in einer VUCA-Welt: volatil, unsicher, komplex und mehrdeutig (volatility, uncertainty, complexity, ambiguity).

Fachkräftemangel verschiebt die Machtverhältnisse

Hinzu kommt, dass die jüngeren Generationen zu einer Zeit das Spielfeld betreten, wo es an ausgebildeten Fachkräften mangelt. Dieser Mangel stürzt alte Machtverhältnisse um: Der Chef (zumeist sind es immer noch Männer) wählt nicht mehr aus zehn Bewerbern einen Assistenzarzt aus. Stattdessen sieht sich die Bewerberin 2-3 potenzielle Stellen (inklusive ihrer Chefs) erst einmal an, um sich dann für die favorisierte Stelle zu entscheiden. Auch wenn es in einzelnen Spezialgebieten und Abteilungen noch umgekehrt wirken mag, die grosse Mehrheit der Chefärzte sucht händeringend nach ausgebildeten Fachkräften.

Die meisten Chefärzte suchen händeringend Fachkräfte.

Der fehlende psychologische Vertrag und Fachkräftemangel sind Gründe für das umgekehrte Spielfeld. Doch sie sind nicht die einzigen Herausforderungen, vor die sich Führungspersonen mit jüngeren Ärzten und Ärztinnen gestellt sehen. Im zweiten Teil von Ärzteschaft der Zukunft werfen wir einen Blick auf veränderte Lerngewohnheiten und beantworten die Frage: Wofür braucht es heute medizinische Führungskräfte?

Literatur

  1. Atzeni G. Professionelles Erwartungsmanagement. Zur soziologischen Bedeutung der Sozialfigur Arzt. Baden-Baden: Nomos. 2016
  2. Ibarra H. Provisional Selves: Experimenting with Image and Identity in Professional Adaptation. Administrative Science Quartely. 2013

Psychologische Sicherheit in Teams

Im Gesundheitswesen wird, gerade von jüngeren Generationen, immer häufiger der Wunsch nach einer Feedbackkultur laut. Vor allem in stark hierarchischen Organisationen und Teams exponieren sich Teammitglieder meist nicht, um Sanktionen zu vermeiden. Aber: Qualität und Lernen findet statt, wenn Teammitglieder riskieren, auch «kritische» Beiträge einzubringen. Wir unterstützen Sie dabei, diese psychologische Sicherheit in ihrem Team zu erhöhen.

Foto von Acton Crawford auf Unsplash