Das Gesundheitssystem in Dänemark: Sicht der Ärzteschaft

Das Gesundheitssystem Dänemarks erfährt derzeit internationale Aufmerksamkeit. Im Vordergrund steht vor allem die geringe Anzahl der Spitalbetten, teilweise wird auch über (gute) Arbeitsbedingungen für das Gesundheitspersonal, insbesondere die Ärzteschaft, berichtet. Das macht neugierig. Wir haben Dänemark besucht: Was unterscheidet die Situation der dortigen Ärzteschaft von uns ÄrztInnen in der Schweiz?

Dänemarks Ärzteschaft

Werfen wir zunächst einen Blick auf die Arbeit der Ärztinnen & Ärzte. Diese ist in Dänemark mindestens so heterogen wie in der Schweiz: Hausärztin in einer ländlichen, sozio-ökonomisch herausfordernden Region zu sein oder Thoraxchirurg in einem der fünf „Superhospitals“ (Universitätsspitäler) ist mindestens so unterschiedlich wie Hausarzt in einem Bergdorf in Graubünden  zu sein oder Transplantationschirurgin am USZ.

Spezialisten nur in den Spitälern

Was anders ist: in Dänemark arbeiten spezialisierte Ärztinnen fast ausschliesslich in Spitälern und sind durch den Staat mit einem Fixlohn angestellt. Dabei verdienen sie weniger (!) als die selbständig tätigen Hausärzte. Ökonomen würden unter solchen Bedingungen wohl fürchten, keine Spezialisten mehr zu finden, da alle abwandern würden. Was aber sagen dänische Spezialistinnen? Sie sind hoch zufrieden mit den Möglichkeiten, sich sowohl klinisch (innerhalb eines Fachgebiets) weiter zu spezialisieren, aber auch in (spezialisierten) Teams arbeiten zu können. Die Konzentration der Spitäler trägt dazu bei, weil hohe Fallzahlen zustandekommen. Das sei intellektuell wie handwerklich stimulierend und befördere ihr Interesse und ihre Zufriedenheit noch mehr. Und was sagen sie zu ihrem Lohn? Sie würden nicht mit einem mehrverdienenden Hausarzt tauschen wollen. Auch Anreize für Zusatzverdienste seien nicht interessant – bei 60% Steuern bliebe davon ohnehin nicht viel übrig.

Work/Life

Zufrieden sind Dänemarks Ärztinnen und Ärzte mit ihrer Work-Life-Balance. Um 16 Uhr sei in der Regel Schluss, man schätze es, die Kinder noch bei Tageslicht zu sehen und sogar während der Woche noch etwas mit der Familie unternehmen zu können. Dafür arbeitet man in Dänemark deutlich länger im Leben: Je nach Jahrgang bis 69- oder 71-jährig. Doch das sei völlig in Ordnung, man sei heutzutage in diesem Alter noch fit. Zuständigkeiten und Positionen werden vielleicht im Laufe der Karriere angepasst.

Wo bleibt der Chefarzt?

In den Teams übernimmt jede Spezialistin auch eine besondere organisatorische Rolle, den einen, einzigen „Chefarzt“, der für die Kostenstelle, die Ausbildung der Jüngeren und die Forschung gleichzeitig zuständig ist, findet man in Dänemark nicht. Typisch: Die jeweiligen Webseiten der Abteilungen verraten nichts über eine besondere Stellung in einer Abteilung. Stattdessen gibt es Spezialisierungen und Zuständigkeiten, man begreift sich auch in Sachen Führung als Team. Das System erinnert sehr an das amerikanische mit seinen deutlich flacheren Hierarchien – zumindest an den Spitzenhospitals. Die deutschsprachige Kombination von Chefarzt und Universitätsprofessor findet sich hier nicht.

Teamgeist auch mit anderen Therapeuten

Und wie sieht die Versorgung der Patienten und Patientinnen aus Sicht der dänischen Spezialisten aus? Auch diesbezüglich herrscht Zufriedenheit: Man begreife sich, zusammen mit den Pflegenden im stationären und im ambulanten Bereich, als Team. Wichtig sei dabei die rasche und informelle Abstimmung untereinander, damit PatientInnen von allen an der Behandlung Beteiligten „dasselbe hören“ und nicht von gegenläufigen Aussagen verunsichert werden. Die im Superhospital Behandelten werden zwar extrem rasch in das ambulante Setting entlassen. Aber sie werden nicht nur durch die ambulant Behandelnden nachbetreut, auch die Spezialistinnen verfolgen ihre Behandlung via Videocall oder Telefon direkt weiter.

Übertragbarkeit auf das Schweizer System?

Der Weg der Fixlöhne wird in Schweizer Spitälern schon vielfach beschritten, allerdings bei weitem nicht so radikal wie in Dänemark. Hiesige Spitzenchirurgen können sich nur wundern, „für wie wenig Geld“ in Dänemark Ausgezeichnetes geleistet wird, wie die dänischen Gesprächspartner formulierten. Es ist spannend zu sehen, welche Zufriedenheit aus als fair empfundenen Löhnen und professionellen Entwicklungsmöglichkeiten resultieren kann.

Eindrücklich zu sehen sind die flacheren Hierarchien und die stärkeren Verteilungen der Führungsaufgaben innerhalb der Teams. Weg fiele damit die Überlastung einer Einzelnen mit administrativen, nicht-patientenbezogenen Aufgaben. Man wäre vielleicht sogar wieder gewillt, auch in höheren Positionen voneinander zu lernen…

Wie gelingt es, qualitativ hochwertige Gesundheitsdienstleistungen zu bieten, ohne betriebswirtschaftliche, wissenschaftliche, personelle und politische Aspekte zu vernachlässigen? Dieser Frage müssen sich Personen stellen, die medizinische Organisationen leiten und steuern.
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