Führen zwischen Formalität und Informalität: «Brauchbare Illegalität»?

Jüngst haben mehrere Whistleblowings für Aufsehen gesorgt – aus unserer Warte als Beratende und Forschende spannend, hier mal aus systemischer Sicht draufzuschauen.

Besonders die drei Whistleblower-Skandale am USZ der letzten Monate haben für Aufmerksamkeit gesorgt. Wer hat hier was unerlaubt gemacht, wer ist wie gefährdet worden, wer hat sich bereichert? Das sind Fragen, die von Medien wie anderen Beobachtern gestellt werden. Wobei der Eindruck entsteht, dass, je mehr über die Fälle berichtet wird, desto unklarer die Dinge werden. Zunächst klar erscheinende Zuordnungen – hier das Gute, da der Böse – beginnen zu verschwimmen. Warum?

Formal versus informal

Organisationen sind Systeme, die sich durch «merkwürdige» Mischungen aus Formalität und Informalität konfigurieren:

Sie verfügen einerseits über formale Strukturen, Vorgaben, Weisungen, Regelungen und Guidelines. Diese definieren, was wie zu tun, und was wie zu unterlassen ist.

Organisationen produzieren und benötigen Informalität

Andererseits produziert und benötigt jede Organisation Informalität. Die Menschen sprechen schliesslich miteinander (nicht zuletzt auch über die Organisation …), finden sich sympathisch, entdecken ähnliche Interessen und Ziele oder eben nicht. So entwickeln sich ähnliche Sichtweisen und Vorgehensweisen, sie stacheln sich an, finden zu gemeinsamen Handlungsmustern – kurz sie produzieren miteinander Organisationskultur.
Und diese Kultur definiert dann vielerlei, beispielsweise:

  • welche Probleme gesehen und welche Lösungen gewählt werden,
  • welche Praktiken toleriert und welche sanktioniert werden,
  • wie man miteinander umgeht und wie nicht,
  • wer dazu passt und wer nicht,
  • wer aufsteigt und wer nicht.

Erst diese Mischungen von formal und informal machen Organisationen leistungsfähig.

Stellen Sie sich eine Organisation vor, die ausschliesslich nach formalen Vorgaben – «Dienst nach Vorschrift» – arbeitet: Sie wird nicht vom Fleck kommen. Und umgekehrt eine Organisation, die gar nichts geregelt hat: Auch die wird nicht funktionieren.

Brauchbare Illegalität

Informalität erlaubt auch, die Dinge einfacher, «auf dem kleinen Dienstweg» zu erledigen. So werden zugunsten von Entscheidungsbildungen Absprachen getroffen, zugunsten von Effizienz Abkürzungen genommen – weil man sich kennt, weil man sich in Netzwerken befindet, weil man einander vertraut.

Abkürzungen zugunsten von Effizienz braucht es.

Das bedeutet durchaus ein Abweichen von formalen Vorgaben (manchmal sogar den gesetzlichen … man denke nur an den Umgang mit dem Arbeitsgesetzt) – aber durchaus zugunsten einer guten Aufgabenerfüllung.

«Organisationale Klugheit liegt also weder in einem sklavischen Befolgen von aussen vorgegebener oder von der Organisation selbst gesetzter Regeln, noch in deren prinzipieller Ignorierung, sondern in der Ermöglichung punktueller Abweichungen.» (Brauchbare Illegalität, Stefan Kühl 2020: 48f, Campus 2020).

Es gibt daher eine «brauchbare Illegalität» in Organisationen. Organisationen funktionieren nun mal mehr in «shades of grey», denn in schwarz/weiss-Unterscheidungen. Zu komplex ist die Welt, mit der sie sich herumschlagen müssen.

Fazit?

Es braucht also beides – Formalität und Informalität – für funktionierende Organisationen, auch im Gesundheitssystem. Erst diese Mischungen erlauben «klug» mit Regeln, Weisungen und Vorgaben umzugehen und dadurch die widersprüchlichen Erwartungen, um die es in allen Organisationen geht, in führungsfähige Situationen übersetzen zu können. Gleichzeitig eröffnen sich hier Gefilde der möglichen Ungereimtheit, über die in weiteren Beiträgen zu reden sein wird.

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