Bridging Crises: Perspektivendifferenz in ihrer Vielfalt
Nicht, dass wir uns das gewünscht hätten. Aber die Perspektivenvielfalt unserer Gesellschaft wird einem im Moment mit einer Deutlichkeit vor Augen geführt, das einem geradezu schwindlig werden könnte. Wie wenn man zu nahe stehen würde.
Wenn man einen Schritt zurückmacht, was ist dann zu beobachten? Einige Beispiele, was läuft:
- Wissenschaft ist wieder en vogue. Alles hört auf die Epidemiologen. Aber wie geht man damit um, dass Wissenschaft ihrerseits nicht ohne Unschärfen ist und dass Wissenschaft eigentlich der Streit um eine Annäherung an eine eventuelle Wahrheit ist?
- Politik ist wieder en vogue. Sie zählt wieder etwas. Die Umfragewerte der Regierenden gehen fast überall nach oben. Sogar die von Trump und Johnson. Trotz ihres Versagens («herd immunity»). Aber der Wunsch nach (politischer) Führung ist gross und entsprechende Verhaltensweisen werden derzeit stark honoriert.
Das Gesundheitssystem ist en vogue.
- Das Gesundheitssystem ist en vogue. Plötzlich wissen wieder alle, wozu es ein (öffentliches) Gesundheitssystem braucht und wie wichtig es ist. Das Klatschen von den Balkonen ist ein Ausdruck dieser neuen Wertschätzung.
- Wirtschaft ringt um ihren Platz. Bisher war sie die unbestrittene «Number ONE» auf der gesellschaftlichen Prioritätenliste. Nun wird sie unversehens auf die hinteren Ränge verwiesen. Das gehört mit zum Bemerkenswertesten dieser Zeit. Also werden nun öffentliche Briefe geschrieben
- Die Medien spüren ihre Wichtigkeit und ihre Chance sich wieder einen Platz im Herzen der Bürger zu verschaffen.
Noch Interessanter ist, was zwischen diesen unterschiedlichen Perspektiven passiert.
Noch Interessanter ist, was zwischen diesen unterschiedlichen Perspektiven passiert.
In Deutschland gibt es erste Proteste von Epidemiologen, dass nicht sie es seien, die entscheiden würden. Der Protest richtet sich an die Medien. Die Medien schwanken zwischen Zustimmung (wann wurden je so viele Berechnungen angeboten?) und Kritik an allen. Die Stimmen der Wirtschaft werden lauter und verlangen von der Politik eine Wiederöffnung. Die Kur dürfe nicht mehr schaden als die Krankheit, so das Argument. Politik gibt sich protektiv. Sie spürt, dass die Bevölkerung derzeit harte Einschränkungen unterstützt – doch wie lange noch? Und was wäre vernünftig?
Die ersten Kosten-Nutzen-Abwägungen treffen ein. Ein Menschenleben würde derzeit CHF 500‘000 kosten! Aber mit welchen Annahmen berechnet? Und was ist die Alternative? Kann «gelenkte Ansteckung» angesichts der Exponentialfunktion der Virusansteckung gut gehen? Oder ist das nur ein (pardon) feuchter Ökonomentraum? Kann man «Risikogruppen» wegsperren und auf Herden-Immunität (!) hoffen?
Wir dürfen in Echtzeit beobachten, wie sich im grossen Gesellschaftskonzert die unterschiedlichen Perspektiven abstimmen und entwickeln.
Eine letzte Bemerkung: en vogue deutet bereits an, dass es um ein temporäres Phänomen geht. Eine Mode, die im Sturm der aktuellen Gefühle rasch und massiv Stimmungen und Einschätzungen verändern könnte. Und damit die Chancen, dass sich unterschiedliche Perspektiven durchsetzen können.
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