2024: Blick nach vorn – Teil 2

2023 war wieder ein turbulentes Jahr für das Schweizer Gesundheitssystem: Krankenkassenprämien, finanzielle Probleme in Spitälern waren nur einige Themen. Was lernen wir daraus für die kommenden Jahre? In dieser Blog-Reihe schauen wir zurück und nach vorne. In diesem zweiten Teil geht es um bürokratische Herausforderungen.

«Ich arbeite nunmehr 15 Jahre als Arzt im öffentlichen Gesundheitswesen. Trotz andauernder Bekundungen, man müsse die Bürokratie reduzieren nimmt sie immer weiter zu. Ich denke, der Wunsch, immer weiter zu optimieren, führt eben dazu, dass wir Angst vor Fehlern haben, welche wir versuchen, mit administrativen Vorgaben zu minimieren oder vermeiden.» Dieser und weitere Kommentare zum NZZ-Artikel mit dem hoffnungsvollen Titel «Bye-bye Bürokratie» umschreiben die Stimmung in Spitälern treffend und zeigen vor allem eines: Bye-bye ist vielleicht übermorgen.

Und natürlich meinen viele zu wissen, wo der Hund begraben liegt. So werden munter der Kontrollwahn der Krankenkassen, die überbordende Mikroregulierung der Kantone, die codierungssüchtigen Tarifsysteme oder die wilden Gesetzesvorlagen des ehemaligen Gesundheitsministers angemahnt.

Das Problem? Alle tun exakt das, was sie tun sollen

Wo liegt das Problem? Unter anderem darin, dass alle exakt tun, was sie tun sollen: Denn was soll denn eine Krankenkasse anderes tun, als Rechnungen kontrollieren, was soll ein pauschaliertes Tarifsystem wie DRG anderes benötigen als Codierungen und was können Kantone und Gesundheitsminister anderes machen, als Regulierungsvorlagen ausarbeiten?

Die Bürokratie-Herausforderung

Das Problem ist nicht, dass einzelne Akteure fehlgehen. Das Gesamtkonzert aller führt dazu, dass umgekehrt proportional zur steigenden Bürokratie die Attraktivität der Berufe im Gesundheitswesen und insbesondere der Ärztinnen und Ärzte sinkt. Auch wenn hier keine unmittelbare Kausalität behauptet wird, dürfte dieser Aspekt bedeutsamer sein als üblicherweise angenommen. Beispielsweise weil er mitverantwortlich dafür ist, dass rund die Hälfte der angehenden Ärztinnen und Ärzte ihre berufliche Motivation beim ersten Kontakt mit der medizinischen Realität ganz oder teilweise verlieren. Das ist schockierend und sollte uns sehr zu denken geben.

Wir kennen das aus vielen Kontexten: wir haben ein Problem, schuld daran sind aber die jeweils anderen («kontrollwütige Krankenkassen», «mikroregulierende Kantone» oder «unfähige Gesundheitsminister»). In der Psychologie nennt man dieses Phänomen Externalisierung von Problemen. Es geht dabei nicht in erster Linie um die Beschimpfung Anderer, sondern um die eigene Entlastung.

Externalisierung von Problemen: Schuld sind die anderen

2024 wäre ein guter Zeitpunkt, uns diese Verantwortung einzugestehen und aktiv zu werden. Als Ausgangspunkt steht einiges aus Literatur und Erfahrung zur Verfügung, beispielsweise eine Studie der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften von 2021, die den aktuellen Stand des Wissens und die noch erheblichen Forschungslücken zum Thema aufzeigt. Letzteres lässt mit Blick auf die externalisierenden Zuschreibungen schmunzeln. Anregend ist die Studie auch, weil sie den (gelungenen) Versuch unternimmt, aufgrund von Expertengesprächen eine Kategorisierung des administrativen Aufwands in Spitälern vorzunehmen und damit eine hilfreiche Diskussionsbasis schafft.

Bemerkenswert ist das Fazit der Autorinnen: «Im Verlauf dieser Arbeit hat sich zunehmend verdeutlicht, dass viele der administrativen Arbeiten nicht beseitigt werden können. Stattdessen geht es mehr um eine optimale Verteilung und die Vereinfachung administrativer Aufgaben, beispielsweise durch Vereinheitlichung oder Delegation von Dokumentationsarbeiten». Es scheint, dass wir die Thematik der administrativen Last wieder internalisieren und eigene Lösungsansätze entwickeln sollten.

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Bild: Jonas Verstuyft auf Unsplash

Literatur