Welche Ärzt*innen braucht es in Zukunft? – Teil 2

Der Arztberuf ist eingebettet in gesellschaftliche und gesundheitssystemische Dynamiken, weshalb Überlegungen zur Zukunft des Arztberufes von der Frage ausgehen müssen: Wie sehen die Gesellschaft und die Versorgung der Zukunft aus?

Der erste Teil von «Welche Ärzt*innen braucht es in Zukunft?» hat die Herausforderungen beschrieben, die sich aus einer zunehmenden Vielfalt ergeben. In diesem zweiten Teil geht es darum, wie sich diese meistern lassen.

In einer Arbeitsgruppe zu Megatrends im Rahmen der «Plattform Zukunft ärztliche Bildung», die der Autor begleiten durfte, wurden unter anderem folgende Überlegungen zum Thema «Vielfalt» angestellt.

Die klassischen Vier

In Diskussionen über die Zukunft der Medizin werden typischerweise stets vier relevante Punkte genannt:

  1. Die demografische Entwicklung mit der Zunahme alter, potenziell polymorbider Menschen;
  2. die steigenden Erwartungen der Patient*innen an Integrations- als auch Konsummöglichkeiten;
  3. die zunehmende Komplexität der Medizin durch ihre Spezialisierung und die Ausweitung ihres Tätigkeitsfeldes, und
  4. der steigende Kostendruck.

Die Zukunft der Versorgung

Darüber hinaus lassen sich folgende Trends erkennen, wenn man die genannten gesellschaftlichen Entwicklungen unter dem Stichwort «Vielfalt» berücksichtigt.

Der zunehmenden Vielfalt der Erwartungen an Behandlungs- und Betreuungsmöglichkeiten muss mit einer Diversifizierung sowohl der Versorgungssettings als auch der Rollen der verschiedenen Gesundheitsberufe begegnet werden.

In dem Masse, wie Versorgung über «Heilung» hinaus gehen wird (präventiv, palliativ, reproduktiv, …), werden neben biomedizinischen, auch soziale und psychologische Dimensionen relevant.

Die Rollenverteilung zwischen den Gesundheitsberufen wird intensiver hinterfragt und fluider werden, wobei sich Behandlungs- und Betreuungsprozesse zunehmend umgestalten werden (z.B. Task Shifting zugunsten der Konzentration auf nicht-routinemässige Fälle und interprofessionelle Zusammenarbeit angesichts komplexer Krankheiten).

Berufsrollen werden vielfältiger und anspruchsvoller

Berufsrollen werden aber auch angesichts der Erwartungen von Ärzten und Ärztinnen an Arbeits- und Karrieremodelle, Arbeitgeber und Vorgesetzte vielfältiger und anspruchsvoller werden.

Die klassische Einteilung in stationäre und ambulante Medizin wird durch neue Kriterien («Settings») überlagert werden, die nach differenzierten Behandlungs- und Betreuungsformen rufen:

  • ein akutes Setting, das sich mit klar klassifizierbaren Krankheiten befasst und über ein entsprechendes Interventionsportfolio verfügt (z.B. akuter Herzinfarkt),
  • ein intermediäres Setting, das durch komplexe, aber klassifizierbare Krankheiten und ein breites Spektrum an Interventionsformen gekennzeichnet ist (z.B. Krebsbehandlung), und
  • ein Setting, das sich mit chronischen, multiplen und schwer klassifizierbaren bzw. seltenen Krankheiten befasst.

Fragmentierung und Integration

Mit der progredienten Spezialisierung der Medizin werden Fragen der Koordination, der Integration und der Neukonfiguration von Versorgungssettings noch wichtiger.

Der Druck, von einer systembasierten zu einer patienten- oder personenzentrierten Versorgung zu gelangen, wird zunehmen, wobei das Nutzenkalkül weiterhin wichtig sein wird.

Dabei wird die Notwendigkeit, Kompetenzen und Rollen neu zu konfigurieren, um diagnostische, therapeutische und pflegerische Aktivitäten zum Wohle der Patient*innen neu zu kombinieren, weiter wachsen.

Eine ambulante, präventive und verhaltensorientierte Ausrichtung der Medizin wird gegenüber einer akut-kurativen (und stationären) Ausrichtung an Gewicht gewinnen, wobei die demografisch bedingte Zunahme älterer, polymorbider Patientinnen und Patienten eine Kompetenzanpassung erfordern wird.

Schliesslich wird es immer wichtiger werden, den Trend zur weiteren Spezialisierung in der Medizin mit dem Bedarf an generalistischen und integrativen Kompetenzen bei den Ärzt*innen in Einklang zu bringen.

Fazit

Aufgrund gesellschaftlicher Entwicklungen ist mit einer zunehmenden Vielfalt bei Patientinnen und Patienten, Personal, Versorgungssettings, Rollen und Karrierewegen zu rechnen. Versorgungssettings werden sich differenzieren und Berufsrollen werden sich verflüssigen.

Zwei Aspekte erscheinen besonders wichtig: Die Karrierewege von Ärzt*innen werden in Zukunft mehr Rollenwechsel beinhalten, und die Frage der Ko-Evolution der Gesundheitsberufe wird deutlich an Bedeutung gewinnen.

Grosse Herausforderungen für Aus- und Weiterbildung

Daraus ergeben sich zwei grosse Herausforderungen für die Aus- und Weiterbildung: 1) Wie kann der Vielfalt an Rollen und Karrieren angemessen Rechnung getragen werden? 2) Inwieweit verträgt sich diese Vielfalt mit der heutigen Vorstellung eines weitgehend einheitlichen Arztberufs und dem damit einhergehenden professionellen Selbstverständnis der Ärzte und Ärztinnen?

Die Studiengänge und Seminare von college M berücksichtigen aktuellste Herausforderungen im Klinik- und Führungsalltag, thematisieren den Umgang damit und vermitteln hilfreiche Tipps. Sie bringen Ihren persönlichen Kontext mit ein und gestalten den Kurs so mit, dass Sie am meisten profitieren.

Finden Sie alle unsere Studiengänge und Seminare.

Foto von Erik Mclean auf Unsplash

Literatur

BAG Plattform Zukunft ärztliche Bildung, Arbeitsgruppe ‚Arzt der Zukunft‘, Untergruppe ‚Megatrends‘, Leitung Prof. Dr. C.A. Meier.