„Phanton sah sofort ein, wie wirkungsvoll eine Ohrfeige im rechten Augenblick ist, und wir sahen dieses Beispiel ein, so daß allen gedient war“.

Schriftsteller Igomar von Kieseritzky

1981 erschien das wunderbare Buch «Die ungeheuerliche Ohrfeige oder Szenen aus der Geschichte der Vernunft» des deutschen Schriftstellers Ingomar von Kieseritzky. Jahrzehntelang in Vergessenheit geraten, bringt mir die aktuelle Corona-Situation das wieder in Erinnerung und inspiriert mich zu einer Beschimpfung sowie einem Vorschlag.

Wer das Buch nicht kennt: Das Philosophen-Trio Ploikos, Kabes und Kritos ist zusammen mit ihrem Schwein Sophia auf der Reise durch das antike Griechenland. Sie suchen nach der ultimativen Ethik. Ihre «Einsicht» nach langer Reise: Einzig würde helfen, wenn die Denkfaulen, Lügner und ihre Konsorten jeweils von einer «ungeheuerlichen Ohrfeige» aus dem Himmel herab überrascht werden würden.

Die Denkfaulen und Lügner würden von einer «ungeheuerlichen Ohrfeige» aus dem Himmel herab überrascht werden.

Und in der Tat, wäre das nicht wunderbar? Wenn zum Beispiel Donald Trump beim Verkünden seiner masslosen Dummheiten (aktuellstes Stichwort: Desinfektionsmittel) plötzlich aus dem Himmel herab von einer «ungeheuerlichen Ohrfeige» getroffen werden würde? Wenn er dann bei laufender Kamera erstarren und die Kameras näher zoomen und die himmlischen Fingerabdrücke auf der orangenen Präsidentenwange in Grossaufnahme in alle Landesteile ausstrahlen würden. So dass sie jede und jeder sehen könnte.

Auch andere Gelegenheiten für eine «ungeheuerliche Ohrfeige» kommen mir in den Sinn:

  • Wenn in der geheimen (!) «Scientific Advisory Group for COVID 19» der englischen Regierung Johnson’s manipulativer Berater Cummings mit dabei ist und die Differenz zwischen Wissenschaft und Politik vernebelt wird.
  • Wenn in der Schweiz Partei-Generalsekretäre und -Sekretärinnen oder auch Mitglieder des Blocher-Clans sich als selbsternannte Corona-Experten gebärden und Forderungen ohne Sinn und Verstand stellen.
  • Wenn Ökonomen von «gelenkter Ansteckung» raunen.

Kurzum: Unwahrheiten und Dummheiten, Leugnungen der Realität, Forderungen, die blanke Interessenvertretung als Politik zu tarnen suchen, Pseudo-Expertisen, die nur die eigenen Wunschvorstellungen transportieren, all das wären ungeheuerliche Ohrfeigen wert.

Ende Beschimpfung.

Ein Vorschlag. Die nächsten Wochen und Monate werden schwierig. Und niemand, aber auch gar niemand weiss, wie sich die Situation weiter entwickeln wird. Eine 2. Welle? Eine tiefe Rezession? Ein rascher Aufschwung? Inflation? Autoritäre Entwicklungen? Ökologische Wende? Ein wundersamer Impfstoff? Ein rasant mutierendes Virus? Wir wissen es nicht.

Die alten Denk- und Vorgehenskonzepte taugen angesichts dieses massiven Nichtwissens wenig. Wichtig wird sein, schrittweise, tastend voranzuschreiten und wahrzunehmen, was sich entwickelt. So wie das komplexen Situationen angemessen ist. Denn das Handeln auf Probe wird das sein, was bleibt.

Wichtig wird sein, schrittweise, tastend voranzuschreiten und wahrzunehmen, was sich entwickelt.

Wer diese Komplexität zu seinen eigenen Gunsten konsequent unterschlägt – um politisches Kapital daraus zu schlagen, um die eigene Klientel (und damit sich selbst) zu begünstigen, um sich nicht dem eigenen Unwissen stellen zu müssen –, dem soll künftig der Preis der «ungeheuerlichen Ohrfeige» verliehen werden. So wie es die «Goldene Himbeere» für den schlechtesten Film gibt, so könnte es die «ungeheuerliche Ohrfeige» für den dümmsten Beitrag zur Zeit geben. Jährlich? Monatlich? Täglich?

Wer den Preis verliehen bekommt, muss das Buch von Ingomar von Kieseritzky abschreiben. Handschriftlich.

Ende Vorschlag.

Was denken Sie über den Vorschlag? Wen würden Sie nominieren? Wie geht Ihre Organisation mit Komplexitäten um?

Weiterlesen:
Kein wirtschaftspolitischer Aktivismus im Blindflug, NZZ, 27.4.2020

Warum wir gerade lieber Drosten als Sloterdijk hören, FAZ, 26.4.2020